Das Ding mit den Haaren.


Gibt es für ein Mädchen oder eine Frau etwas schlimmeres als den Verlust seiner Haare? Eine lange blonde Mähne, seit frühem Kindesalter gezüchtet. Weiblich und schön. So ein Mensch war ich tatsächlich noch nie. 
Haare sind etwas Wundervolles, sie machen den Menschen so schön wandelbar und einzigartig. Ich persönlich hatte noch nie Berührungsängste mit meinen Haaren, habe sie ständig abgeschnitten und gefärbt, wollte ich immer anders aussehen, bloß nicht wie alle anderen. Aber dass ich mich mal so extrem von allen abheben würde hätte ich nicht gedacht. 
„Sie wissen, dass Sie bei der Chemo Ihre Haare verlieren? Die Dosierung ist so stark, dass Sie eigentlich fast zu 100% davon ausgehen können, dass sie ausfallen“- der Satz mit dem man natürlich schon fest gerechnet hat, doch trotzdem noch ein wenig Hoffnung hatte ihn so lange es möglich ist nicht zu hören. „Die Haare kommen wieder“, immer wieder sagen alle „die Haare kommen wieder“. Ja klar kommen sie wieder, keine Frage, nur wie lange das dauert erwähnt keiner. Wie lange dauert es wohl die Haare zurück auf meine Länge zu bekommen? Ich meine sonderlich lang sind sie jetzt nicht, knappes Stück über die Schulter, aber um Monate, vielleicht Jahre kann es sich trotzdem handeln. Aber es gehört dazu, damit muss man sich abfinden, Punkt. 

45 Minuten saßen wir im Bad und haben gegen die Menge an Haaren gekämpft, die noch auf meinem Kopf war. „Nach fast 20 Jahren in diesem Beruf musste ich noch nie bei einer Patientin mit einer Schere vorarbeiten, heute ist Premiere für uns beide. Und wo ich dabei bin, eine Kurzhaarfrisur würde Ihnen auch gut stehen.“ Ich war froh, dass es endlich passierte. Klar freut man sich nicht über eine Glatze, aber meine Geduld mit den herumfliegenden Haaren war am Ende. Tatsächlich habe ich während der 45 Minuten Kopf rasieren sehr viel gelacht, ich habe mit der Schwester gequatscht und es fühlte sich gar nicht mehr schlimm an, ein wenig komisch, aber nicht schlimm. Eine kleine Angst blieb mir aber doch im Hinterkopf hängen: Was ist, wenn ich plötzlich total verändert aussehe? Ich möchte ich bleiben, auch optisch, ich möchte mich nicht grundlegend verändern. 
Der erste Blick in den Spiegel – Erleichterung. Ich war immer noch ich. Mein Gesicht ist das Gleiche, mein Kopf ist der Gleiche, nur die Haare fehlen, aber ich war trotzdem noch ich. Im Endeffekt war der erste Blick in den Spiegel sogar eher positiv als negativ, da meine größte Sorge nicht eingetreten war. An Stellen, an denen die Haare ausgefallen waren war ich komplett kahl und an den Stellen wo meine Haare noch fest saßen waren Stoppeln. Die Schwester nannte es liebevoll „KZ-Friese“. Man darf eben auch in solch einer Situation den Humor nicht ganz verlieren. 
Als Kopfbedeckung habe ich mir vor allem Turbane zugelegt, die sehen wirklich super aus und lassen sich echt gut tragen. Mittlerweile trage ich auch die gar nicht mehr so häufig. Ich habe mich einfach total an meinen Glatzkopf gewöhnt. Eine Perücke habe ich mir auch sehr schnell ausgesucht, dazu später aber noch genaueres. 

Erst einmal verschwindet der Gedanke dann auch relativ zügig wieder, noch hat man seine Haare ja noch, sie waren zwar von diesem grauenvollen pH-neutralen Shampoo, welches man während der Chemo benutzen muss, unfassbar verklettet und zerzaust, aber sie sind ja noch fest auf dem Kopf, ein Problem also, mit dem sich die Zukunfts-Fenja beschäftigen muss. Wenn es dann beginnt auszufallen rasiert man sie einfach ab, sobald man etwas sieht. So weit so gut, Tage vergehen und bei jedem Haare Kämmen und jedem Haare Waschen merkst du, wie immer mehr Haare sich in der Bürste ansammeln und immer mehr Haare im Abfluss landen. Irgendwann wachst du auf und dein ganzes Kissen ist voller Haare, deine Klamotten sind voll und im Besten Fall landen sie noch schön im Essen. Es vergeht also wirklich nicht viel Zeit und die verfluchten Haare sind einfach überall. Ich habe in den Spiegel geguckt und gesehen wie mein Haar immer dünner und dünner wurde und war einfach nur genervt, dass sie nicht mehr auf meinem Kopf waren, sondern überall sonst. Außenstehende konnten überhaupt nicht erkennen, dass meine Haare ausfielen, da ich so unglaublich viele Haare habe oder jetzt hatte, dass es vermutlich ewig gedauert hätte, bis alle von alleine ausgefallen wären. Aber jetzt sind wir mal ganz ehrlich, ist es nicht noch tausend Mal schlimmer als die Haare abzurasieren, zu sehen wie alle langsam aber sicher ausfallen und man nach und nach immer kahler wird? Ich persönlich wollte es zu keinem Zeitpunkt soweit kommen lassen. Schon nach etwas mehr als zwei Wochen hatte ich so die Schnauze voll von meinen Haaren, dass ich für mich selber beschloss die noch festen Haare in naher Zukunft einfach loszuwerden und sich den ganzen Stress nicht mehr anzutun. Doch irgendwie schiebt man es trotzdem vor einem her. Welche Frau will schon freiwillig eine Glatze haben? Am 2. Januar, also genau 20 Tage nachdem ich ins Krankenhaus gekommen bin habe ich dann auch zu einer Schwester gesagt, wie genervt ich nur noch bin und dass ich meine Haare gerne die nächsten Tage ab hätte. „Ja, wir müssen gucken wie es zeitlich passt, wir haben momentan viel zu tun.“ Hm, ja ok, dann bleibt mir wohl noch ein bisschen Zeit mit meinen Haaren. Falsch gedacht! Gegen Mittag kam die Schwester bewaffnet mit Schere und Rasierer zurück ins Zimmer und fragte nur: „Wollen wir?“ Ehrlich gesagt war ich sehr froh, dass ich so überrumpelt wurde, sonst hätte ich es vermutlich noch Tage vor mich hergeschoben. 
Dann setzt du dich also ins Badezimmer, Kopf übers Waschbecken und los geht’s. 

Haare sind etwas Wundervolles, keine Frage, doch ich habe aus der Aktion  gelernt, dass Haare nichts am Aussehen oder der Schönheit ändern. Nur weil man keine Haare mehr hat sollte man auf gar keinen Fall sein Selbstbewusstsein und seine Selbstliebe verlieren. „Beauty comes in all shapes“und so auch mit und ohne Haare. Ich habe mich so an meine Glatze gewöhnt, dass ich Fotos auf denen ich keine Perücke trage oft sogar schöner finde, als mit Perücke, sie sehen besonders aus. Es ist super die Perücke zu haben, keine Frage, man sieht gesund aus und wird nicht angestarrt, doch ich schäme mich nicht für meine Glatze und habe kein Problem sie zu zeigen. Ich habe diese Krankheit und es gehört dazu, auch wenn die Leute glotzen. Ich liebe es mich fertig zu machen und schöne Kleidung zu tragen, darauf werde ich nicht verzichten, nur weil ich krank bin. Ich fühle mich auch ohne Haare als ganze Frau. 

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3 Kommentare zu „Das Ding mit den Haaren.“

  1. Danke für den starken Text. Ich glaube, eine Glatze ist gar nicht unbedingt „unschön“, sondern eben ungewöhnlich und anders. Deshalb fällt man damit direkt auf. Du setzt das hier auf den Bildern toll in Szene!

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