Intensivtherapie – die Letzte.

Wie fühlt es sich an mitten im letzten Chemoblock zu stecken? Wie fühlt es sich an kurz vor dem Ende der Intensivtherapie zu stehen? Sollte ich nicht springen und tanzen? Wirklich feiern werde ich wahrscheinlich erst können, wenn der Arzt mir in einigen Jahren sagt: „Frau Harms, Sie sind gesund!“ 
Die Ärzte sind sehr zufrieden. Klar gibt einem das ein sicheres Gefühl, doch gleichzeitig ist da dieser kleine Teil an Zellen, der eben noch nicht weg ist und einem ein mulmiges Gefühl im Magen verschafft. 
„Dieser Teil ist so minimal, dass die Therapie und auch die Erhaltungstherapie ganz normal ablaufen können – wir sind uns sicher, dass auch dieses letzte Stück dann mit der Zeit verschwindet.“ Es ist schön solche Worte zu hören, doch im Hinterkopf flüstert leise eine Stimmte: „Was, wenn nicht?“ 

In einem Punkt bin ich mir zu hundert, nein, sogar zu tausend Prozent sicher: Diese Chemo tritt der Krankheit nochmals sowas von in den Arsch! Ich muss zwar auch mit den Nebenwirkungen kämpfen, jedoch gibt mir die Kraft der Chemo Sicherheit. Endlich alle Zellen loswerden, endlich den ganzen Scheiß hinter mir lassen. Kann es denn so schwer sein? 

Die Nebenwirkungen waren tatsächlich noch kein einziges Mal so stark, wie im letzten Durchgang, zumindest was die Schleimhäute betrifft. Kein Appetit, Entzündeter Mund, entzündete Zunge. Reden ging nur mit Mühe, essen eigentlich gar nicht. Wenn ich einen Liter stilles Mineralwasser am Tag runter bekam war ich schon mehr als zufrieden mit mir. Dieser verfluchte Teufelskreis, zu wenig Essen = Bauchschmerzen, zu wenig Trinken = Kopfschmerzen. Kaputt und müde war ich zusätzlich natürlich auch noch. Aber egal dachte ich mir die ganze Zeit. Ganz egal, je stärker die Chemo ist, desto wahrscheinlicher ist es den ganzen Müll endlich los zu sein und endlich einen weiteren Schritt Richtung Gesundheit zu machen. Bei allem was ich jetzt noch über mich ergehen lassen muss denke ich mir: „Es ist bald vorbei, endlich vorbei.“ 

Meine Gesundheit steht und wird auch immer an erster Stelle stehen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat man aber einfach keine Lust mehr, man hat es satt. Ich würde niemals in meinem Leben aufhören zu kämpfen, zu keinem Zeitpunkt. Ich würde das ganze Prozedere auch wieder und wieder über mich ergehen lassen, weil ich weiß, dass ich wieder gesund werde und ein normales Leben führen kann Irgendwann ist die Geduld jedoch an einem Punkt, an dem man sich sagt: Hey, reicht jetzt auch. Genug mit Schmerzen, genug mit Nebenwirkungen, genug mit Behandlungen, genug mit Spritzen, genug mit Tabletten und vor allem genug mit Krankenhaus. 

Es liegen noch ein paar Tage Krankenhaus vor mir, in denen ich stationär aufgenommen bin und hierbleiben muss. Die 24h-Chemo tropft neben mir bereits und läuft langsam, aber sicher in meine Venen. Ich merke davon nichts, wie immer, aber natürlich weiß ich, dass auch dieses Mal wieder einiges auf mich zukommen kann. Es ist so trügerisch. Still und leise läuft die giftgelbe Flüssigkeit in den Körper, ohne dass man es auch nur ansatzweise etwas spürt und Tage später BOOM zeigt das gute Mittel, was es wirklich draufhat.

Nach dem stationären Aufenthalt muss ich alle zwei Tage wieder ins Krankenhaus kommen, um meine Werte kontrollieren zu lassen und wenn diese wieder in Ordnung sind, ist die Intensivtherapie vorbei. Vorbei? Einfach vorbei. Es ist für mich noch so unglaublich surreal. War nicht gerade eben noch Dezember? Haben wir nicht gerade erst gesagt: „Wenn der Sommer vorbei ist, dann ist es fast geschafft.“ Und wo stehen wir jetzt? Es ist Herbst! Die Blätter fallen endlich von den Bäumen, es regnet den ganzen Tag und die letzte Chemotherapie ist im Gange. Meine Haare werden immer dichter, körperlich werde ich von Chemopause zu Chemopause fitter und auch mental geht es mir verdammt gut. Der letzte Chemoblock, was für ein komisches Gefühl. 

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass auch während der Erhaltungstherapie noch sehr, seeehr viel auf mich zukommen wird und dass auch diese Therapie kein Spaziergang wird, doch der größte Teil ist geschafft und hey, ich bin verdammt stolz auf mich! 

Ich habe Spritzen über mich ergehen lassen, wurde so oft gepikst, dass alle meine Venen komplett vernarbt sind, ich habe mindestens 50% meiner Zeit im Krankenhaus verbracht und wenn nicht im Krankenhaus, dann auf der Couch oder im Bett. Meine Haare mussten sich verabschieden, und zwar alle Haare, im Gesicht sehe ich aus, als würde ich 100 Kilo wiegen, während ich tatsächlich 10 Kilo abgenommen habe. Das alles ist aber egal, denn ich habe niemals mein Gesicht verloren. Ich habe niemals die Freude am Leben und an den schönen Dingen verloren. Ich bin immer noch ich, ein offener, vor allem lebensfroher und positiver Mensch. Meine Familie und meine Freunde müssen so viel mit mir durchmachen und auch ihr könnt allesamt so verdammt stolz auf euch sein, denn ich war bestimmt nicht die ganze Zeit über so erträglich.

Noch ein paar Wochen und ich mache den nächsten riesigen Schritt Richtung Zukunft, Richtung Gesundheit und es gibt nichts auf das ich mich mehr freue. 

Ein Gedanke zu „Intensivtherapie – die Letzte.“

  1. Ich bin zufällig auf deinem Blog gelandet und habe deinen Text gelesen, der mich wirklich zu Tränen gerührt hat ! Du hast eine tolle Lebenseinstellung, davon können andere nur träumen ! Ich wünsche dir alles Gute
    Liebe Grüße
    Melli

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