Oh Herbst, lang ersehnter Herbst.

Der Herbst ist gekommen, es fühlt sich schon fast an wie Winter. November, 11 Monate sind vergangen seit der Diagnose. 11 Monate, die wahrlich kein Spaziergang waren. 11 Monate voller Krankenhaus, voller Untersuchungen, voller körperlicher Schwäche. Aber auch 11 Monate voller Dankbarkeit, voller Fortschritte und voller Liebe. Noch nie habe ich mich so nah meinen Freunden und noch viel mehr meiner Familie gefühlt. Diese 11 Monate sind nun endlich vorbei, die Intensivtherapie ist vorbei und das wurde auch wirklich Zeit. 

Nie wieder Chemo, toi toi toi! Hoffentlich nie wieder wegen dieser scheiß Krankheit länger im Krankenhaus bleiben und nie wieder so sehr auf andere Menschen angewiesen sein. Es nervt! Natürlich fahren meine Eltern und mein Freund mich überall hin, wo ich hinmuss. Aber ich habe es satt. Ich möchte nicht mehr, dass sie wegen mir später zur Arbeit fahren, oder ihren Nachmittag verschwenden, ich möchte selbstständig sein, möchte auf niemanden angewiesen sein. 

Der Herbst ist gekommen, die Intensivtherapie ist vorbei. Der schlimmste Teil der Therapie ist geschafft und ich kann endlich wieder mein Leben Richtung Normalität steuern. Wie schön ist es einfach selbstständig über sein Leben bestimmen zu können? Selbst entscheiden, wann man wo ist und was man wann machen möchte. Ich bin unendlich froh endlich nicht mehr fremdbestimmt durchs Krankenhaus zu sein und mein Leben nicht mehr nach den Chemo-Zyklen planen zu müssen. Endlich wieder selbstständig sein. Selbstständig Termine machen, selbstständig planen, selbstständig seinen Aufenthaltsort bestimmen, selbstständig mein eigenes Geld verdienen. 

Vor genau 3 Tagen wurde ich endlich zum letzten Mal entlassen und was macht mein Körper zu aller erst? Genau, krank werden. Natürlich muss ich trotzdem weiterhin aufpassen, dass ich mir keine Infekte einhandle und bin natürlich auch noch ordentlich anfällig dafür, aber ich kann mir auch vorstellen, dass mein Körper einfach die ganze Anspannung von sich gelassen und einfach mal losgelassen hat. 11 Monate lang war es absolut unerwünscht krank zu sein, da die Chemo hätte verschoben werden müssen und kaum sind die Chemo-Zyklen vorbei, zack krank. Das nenne ich Timing. 

Gut erholt und befreit von der kleinen Erkältung, die ich momentan mit mir rumschleppe, kehre ich am 02.12. ins Krankenhaus zurück und starte die Erhaltungstherapie. Komplett krebsfrei bin ich offiziell noch nicht, aber der Weg dahin ist nicht mehr weit. 2,5 Jahre Erhaltungstherapie stehen mir noch bevor. Und 5 Jahre nach der Beendigung der Therapie ist man erst wieder wirklich „gesund“

Der Herbst ist gekommen und ich schaue auf ein 2020, welches nur besser werden kann als dieses verfluchte 2019. 2020, ein Jahr voller Selbstständigkeit, voller Fortschritte und voller Erfolge. 2020, ein Jahr in dem ich hoffentlich meine Dankbarkeit zeigen kann und soviel wie möglich zurückgeben möchte. Ich bin froh den schlimmsten Teil der Therapie überstanden zu haben und blicke in eine schöne Zukunft. Ich musste 2019 schlagartig erwachsen werden und nehme aus diesem Jahr so viel an Erfahrung und Stärke mit in die Zukunft. Wie sagt man so schön? „Was einen nicht umbringt, macht einen stärker“, und so blöd der Spruch auch ist, er stimmt. Ich bin stärker denn je und so möchte ich ab jetzt auch leben. 

Intensivtherapie – die Letzte.

Wie fühlt es sich an mitten im letzten Chemoblock zu stecken? Wie fühlt es sich an kurz vor dem Ende der Intensivtherapie zu stehen? Sollte ich nicht springen und tanzen? Wirklich feiern werde ich wahrscheinlich erst können, wenn der Arzt mir in einigen Jahren sagt: „Frau Harms, Sie sind gesund!“ 
Die Ärzte sind sehr zufrieden. Klar gibt einem das ein sicheres Gefühl, doch gleichzeitig ist da dieser kleine Teil an Zellen, der eben noch nicht weg ist und einem ein mulmiges Gefühl im Magen verschafft. 
„Dieser Teil ist so minimal, dass die Therapie und auch die Erhaltungstherapie ganz normal ablaufen können – wir sind uns sicher, dass auch dieses letzte Stück dann mit der Zeit verschwindet.“ Es ist schön solche Worte zu hören, doch im Hinterkopf flüstert leise eine Stimmte: „Was, wenn nicht?“ 

In einem Punkt bin ich mir zu hundert, nein, sogar zu tausend Prozent sicher: Diese Chemo tritt der Krankheit nochmals sowas von in den Arsch! Ich muss zwar auch mit den Nebenwirkungen kämpfen, jedoch gibt mir die Kraft der Chemo Sicherheit. Endlich alle Zellen loswerden, endlich den ganzen Scheiß hinter mir lassen. Kann es denn so schwer sein? 

Die Nebenwirkungen waren tatsächlich noch kein einziges Mal so stark, wie im letzten Durchgang, zumindest was die Schleimhäute betrifft. Kein Appetit, Entzündeter Mund, entzündete Zunge. Reden ging nur mit Mühe, essen eigentlich gar nicht. Wenn ich einen Liter stilles Mineralwasser am Tag runter bekam war ich schon mehr als zufrieden mit mir. Dieser verfluchte Teufelskreis, zu wenig Essen = Bauchschmerzen, zu wenig Trinken = Kopfschmerzen. Kaputt und müde war ich zusätzlich natürlich auch noch. Aber egal dachte ich mir die ganze Zeit. Ganz egal, je stärker die Chemo ist, desto wahrscheinlicher ist es den ganzen Müll endlich los zu sein und endlich einen weiteren Schritt Richtung Gesundheit zu machen. Bei allem was ich jetzt noch über mich ergehen lassen muss denke ich mir: „Es ist bald vorbei, endlich vorbei.“ 

Meine Gesundheit steht und wird auch immer an erster Stelle stehen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat man aber einfach keine Lust mehr, man hat es satt. Ich würde niemals in meinem Leben aufhören zu kämpfen, zu keinem Zeitpunkt. Ich würde das ganze Prozedere auch wieder und wieder über mich ergehen lassen, weil ich weiß, dass ich wieder gesund werde und ein normales Leben führen kann Irgendwann ist die Geduld jedoch an einem Punkt, an dem man sich sagt: Hey, reicht jetzt auch. Genug mit Schmerzen, genug mit Nebenwirkungen, genug mit Behandlungen, genug mit Spritzen, genug mit Tabletten und vor allem genug mit Krankenhaus. 

Es liegen noch ein paar Tage Krankenhaus vor mir, in denen ich stationär aufgenommen bin und hierbleiben muss. Die 24h-Chemo tropft neben mir bereits und läuft langsam, aber sicher in meine Venen. Ich merke davon nichts, wie immer, aber natürlich weiß ich, dass auch dieses Mal wieder einiges auf mich zukommen kann. Es ist so trügerisch. Still und leise läuft die giftgelbe Flüssigkeit in den Körper, ohne dass man es auch nur ansatzweise etwas spürt und Tage später BOOM zeigt das gute Mittel, was es wirklich draufhat.

Nach dem stationären Aufenthalt muss ich alle zwei Tage wieder ins Krankenhaus kommen, um meine Werte kontrollieren zu lassen und wenn diese wieder in Ordnung sind, ist die Intensivtherapie vorbei. Vorbei? Einfach vorbei. Es ist für mich noch so unglaublich surreal. War nicht gerade eben noch Dezember? Haben wir nicht gerade erst gesagt: „Wenn der Sommer vorbei ist, dann ist es fast geschafft.“ Und wo stehen wir jetzt? Es ist Herbst! Die Blätter fallen endlich von den Bäumen, es regnet den ganzen Tag und die letzte Chemotherapie ist im Gange. Meine Haare werden immer dichter, körperlich werde ich von Chemopause zu Chemopause fitter und auch mental geht es mir verdammt gut. Der letzte Chemoblock, was für ein komisches Gefühl. 

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass auch während der Erhaltungstherapie noch sehr, seeehr viel auf mich zukommen wird und dass auch diese Therapie kein Spaziergang wird, doch der größte Teil ist geschafft und hey, ich bin verdammt stolz auf mich! 

Ich habe Spritzen über mich ergehen lassen, wurde so oft gepikst, dass alle meine Venen komplett vernarbt sind, ich habe mindestens 50% meiner Zeit im Krankenhaus verbracht und wenn nicht im Krankenhaus, dann auf der Couch oder im Bett. Meine Haare mussten sich verabschieden, und zwar alle Haare, im Gesicht sehe ich aus, als würde ich 100 Kilo wiegen, während ich tatsächlich 10 Kilo abgenommen habe. Das alles ist aber egal, denn ich habe niemals mein Gesicht verloren. Ich habe niemals die Freude am Leben und an den schönen Dingen verloren. Ich bin immer noch ich, ein offener, vor allem lebensfroher und positiver Mensch. Meine Familie und meine Freunde müssen so viel mit mir durchmachen und auch ihr könnt allesamt so verdammt stolz auf euch sein, denn ich war bestimmt nicht die ganze Zeit über so erträglich.

Noch ein paar Wochen und ich mache den nächsten riesigen Schritt Richtung Zukunft, Richtung Gesundheit und es gibt nichts auf das ich mich mehr freue. 

Wellness und Essen.

Wie schnell die Zeit vergehen kann merkt man vermutlich erst, wenn einem etwas Unangenehmes bevorsteht. Wochen werden zu Tagen, Tage zu Stunden und Stunden zu Minuten. Knapp zwei Wochen fliegen vorbei. Ich bin doch gerade erst entlassen worden und schon sitze ich wieder auf Station. Diesmal auf einer neuen Station. „Wir“ sind quasi umgezogen in einen Neubau und es läuft noch alles drunter und drüber, aber ich habe meinen eigenen kleinen Fernseher und muss mich mit niemandem auf ein Fernsehprogramm einigen. Das ist wirklich praktisch. Sind wir mal ehrlich: Das Alter meiner Mitpatienten ist schon wesentlich älter als meins und dementsprechend ist denke ich auch der Geschmack des Fernsehprogramms. Auf der alten Station habe ich das mit dem Fernsehen auf der alten Röhre also einfach gelassen, dagegen ist es hier im neuen Zimmer schon ein wenig Luxus, also wenigstens so ein bisschen. 
Was ich zugeben muss, ich habe die letzten zwei Wochen aber auch wirklich viel gemacht, das hat die Zeit vermutlich noch schneller vergehen lassen, als eh schon. Die erste Woche hatte ich leider ziemlich mit meinem Magen zu kämpfen. Essen war für mich wirklich eine Anstrengung, nur wenige Happen und ich war mehr als satt. Für mich absolut schlimm, ich esse doch so gerne.

Langsam merke ich, dass mein Körper schwächer wird und ich nicht mehr so einwandfrei auf jede Chemo reagiere. Mein Körper wird von Chemo zu Chemo schwächer und dementsprechend reagiere ich. Zum Glück ist das Ganze nicht mehr so stark und schlimm wie am Anfang. Gar nicht vorzustellen, wie dreckig es mir vermutlich jetzt gehen würde, würden die mir das starke Zeug durch den Körper jagen. Zwei Wochen nicht wirklich essen zerrt natürlich ungemein an der Kraft und zwangsläufig auch am Körpergewicht. Mittlerweile habe ich seit Therapiebeginn gute acht Kilo abgenommen. Zu dünn fühle ich mich nicht, eigentlich fühle ich mich sogar ganz wohl mit meinem jetzigen Gewicht. Aber doch bitte unter anderen Umständen und mit vernünftigem Appetit. Woche Zwei ging es schon wesentlich bergauf und meine Mutti und ich haben etwas gemacht, was ich wirklich jedem wärmstens empfehlen kann: Wellness! Einfach ein paar Tage den Kopf ausschalten, am Strand spazieren, die gute Luft genießen, gut essen und es sich einfach gutgehen lassen. Wir haben einfach ins Blaue hinein ein Zimmer in Grömitzan der Ostsee gebucht und hatten dort eine tolle Zeit mit fantastischem Essen und ganz viel Entspannung. 

Bei Gott, es war wirklich einfach nur erholsam. Auch wenn das Wetter nicht so ganz mitgespielt hat war es wunderschön. Obwohl, eigentlich hat das Wetter sehr wohl alles richtig gemacht. Wir konnten einen Tag guten Gewissens im Wellnessbereich vertrödeln, ohne Sonne oder schönes Wetter zu verpassen und konnten am nächsten Tag trotzdem etwas Sonne tanken, als die Wolken wieder wegzogen. Wie gesagt, ich kann es einfach jedem ans Herz legen, der so eine blöde Therapie macht.

Manchmal kommt man einfach an den Punkt, an dem man sich selbst sagt: Ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr und verdammt, ich bin erst bei der Hälfte.

Es hilft wahnsinnig einfach mal den ganzen Scheiß zu vergessen und Kraft zu tanken. Es lässt einen wieder positiver denken. Jetzt stellt sich natürlich die Fragen: Gutes Essen? Fantastisches Essen? Bei einem angeschlagenen Magen? Wir hatten Halbpension und somit Frühstücksbuffet und Abendbuffet vom wirklich allerfeinsten. Alles was das Herz und vor allem mein Herz begehrt wurde geboten. Zum Frühstück gab es Ei in allen Varianten, leckerer Käse, frisches Brot, Gemüse, unwahrscheinlich viel frisches Obst, Bacon, Pfannkuchen und, und, und. Zum Abendessen verschiedene Suppen, Fleisch, Fisch, Gemüse und alles in so vielen leckeren Varianten und einer Qualität, es war zum Niederknien, einfach göttlich. Mein Magen hat sich zum Glück ein wenig beruhigt und ich konnte das Essen genießen, zwar habe ich vermutlich wesentlich länger gebraucht als alle anderen Gäste, aber so waren sogar große Portionen machbar. 

Ach, etwas, was ich gerade mal eben so in einem Satz nebenbei erwähnt habe: Hey, es ist Halbzeit. Die Hälfte ist geschafft! Die erste Hälfte ist, wenn ich zurück denke wirklich schnell umgegangen, doch das Ganze noch einmal? Ich muss zugeben, manchmal denke ich wirklich: Es reicht doch langsam. Aber ich weiß, ich weiß, ich brauche das und ich will ja auch wieder gesund werden, und das um jeden Preis.

Es heißt weitermachen, weiterkämpfen und dieser ekelhaften Krankheit keinen Platz in meinem Leben geben.

Ich kann mich so glücklich schätzen, wundervolle Menschen um mich zu haben, die mich einfach packen und mit mir ein paar Tage einfach die Krankheit vergessen und einfach die Zeit genießen. 

Zum Abschluss der mal wieder wirklich schönen zwei Wochen konnte ich noch mit meinen Freunden zum Seestadtfest. Einfach Spaß haben und auch hier natürlich essen, essen, essen und ein bisschen feiern, so viel wie mein Körper es zulässt. Der krönende Abschluss vom Abschluss war dann noch das Essen in einem Lieblingsrestaurant zum ein-jährigen mit meinem Freund. Der muss auch so viel mit mir durchmachen, dafür an dieser Stelle auch noch einmal ein dickes, fettes DANKE. So hätten wir uns unser erstes Jahr auch nicht vorgestellt. Unsere nächsten Jahre werden dafür umso schöner und lassen uns diesen Zeitraum einfach vergessen.
Der fünfte Chemoblock steht jetzt bevor und ich bin unendlich froh, dass ich nicht mehr so extrem viel Zeit im Krankenhaus verbringen muss. Wie der Arzt es so schön sagt: „Wir halten Sie jetzt an der langen Leine.“Diese Woche ein paar Tage, nächste Woche und dann bis die Werte wieder in Ordnung sind. Ich bin gespannt wie mein Körper reagiert und hoffe einfach schnell wieder Zuhause zu sein. Drückt mir ganz fest die Daumen! 


Outfits 1-3

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  • Hose: Pimkie
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